Texte - Herbert Stepan - Von den Bildern

Zurück zu den Eröffnungsreden von Herbert Stepan

 

Herbert Stepan

Von den Bildern meines Freundes Rudolf Heinz Keppel (Entwurf)

Das Kunstwerk hat ein eigenes Leben. Viele Kunstkenner geben mit Recht dem Kunstwerk die Ehre vor dem Künstler. Das wird aber nur dann ganz möglich sein, wenn der Künstler selbst gleichsam aus seinem Werk herausgetreten ist. Wenn er uns nicht allein sein Denken und Fühlen, seinen persönlichen Geschmack aufzwingen will, sondern über den Verzicht auf sich selbst, einer Welt in sich gewiss, eine neue Wirklichkeit schafft.

Ist das Thema des Künstlers der Mensch, ist sein Thema also ein neues Suchen, das Menschenbild neu zu schauen, seine innere Wirklichkeit zu gestalten, so steht er vor einer großen Aufgabe. Das Bild des Menschen ist heute heillos entstellt, wenn nicht gar verleugnet oder mit Wilen ausgelöscht.

Die immer wieder zitierte und beschworene Zeitenwende bringt es mit sich, dass auch in der Kunst in verwirrender Vielgestaltigkeit neue Wege gesucht und neue Richtungen manifestiert und propagiert werden. Leidenschaft, Herz und Intellekt sind gleichermaßen beteiligt, dem neuen, noch nicht fest umrissenen Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen und schöpferische Kräfte zu wecken. Intellekt, konstruktives Denken, ein poetischer Trancezustand und extremer Formalismus sind unter anderem Ausgangspunkte, um entweder neue Bereiche des Darstellenswerten aufzuspüren, oder in seltenen Fällen in gebührlicher Darstellung die neue Situation des Menschen herauszuarbeiten oder Vorstellungen davon zu gestalten. Zweifel, Ängste, Pessimismus sind oft die vorherrschenden Empfindungen bei diesen Versuchen. Das Resultat ist, dass vielfach und leider nicht ohne spekulative Absicht Verzerrung, Spott und Hohn zur künstlerischen Forderung erhoben werden. Es stellt sich die Frage, ob auf diese Weise denn allein die Wahrheit entdeckt oder gestaltet werden kann. Bilder werden nicht nur für heute gemalt, die Tagesaktualität und die Fortschrittsfiktion werden einmal abgetan sein und Sensationen sind morgen schon vergessen. Die vielen Kunstrichtungen und Ismen, die seit der Jahrhundertwende entweder als Reaktion auf Vorangegangenes einander folgen, oder als Weiterführung eines Konzeptes zu erklären sind, haben ihre Wirkung oft gleichzeitig und rühren mehr oder weniger an die großen Fragen der Kunst. Sie alle bringen Leistungen hervor, die umso mehr überzeugen, je gebundener sie sich an die ihnen zu grundeliegende Idee zu erkennen geben. Eine Gemeinschaft im Geiste ist heute nicht festzustellen. Nicht nur die Art der künstlerischen Mitteilung ist grundverschieden, auch die Frage nach dem Inhalt der Mitteilung wird nicht nur verschieden und gegensätzlich beantwortet, sie wird auch total verneint.

Eine Malerei, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, stimmungsvoll, perspektivisch und stofflich atmosphärische Effekte wiederzugeben, wird, auch wenn sie den Menschen abbildet, nur das Objekt sehen, sie wird immer Erscheinungskunst bleiben, Sinnenkunst. Sie wird nicht von dem Wesen des Menschen aussagen können. Auch nicht jene Malerei, die im Gegensatz zur impressionistischen Objekt-Wiedergabe, den Bildraum als Gefüge kleiner Bildteile begriffen wissen will und außerdem den seelischen Ausdruck fast ganz vermissen lässt und jede gedankliche Beziehung ablehnt. Sie wird den Menschen nur als Formgebilde unter anderen Formgebilden im malerischen Strukturaufbau werten. Der Mensch ist nicht ihr Gestaltungsziel.

Er ist es natürlich auch nicht in der gegenstandslosen Malerei, zu der dieser Weg in letzter Konsequenz geführt hat. Diese "absolut" genannte Richtung will kein Objekt darstellen und betrachtet den Vollzug der Malerei als Ausgangspunkt noch zu entdeckender Gegebenheiten. Sie hat sich dem Menschen entzogen, sie will keine Deutung, sie sieht sich als Meditationsobjekt. Mit der programmatischen Forderung vom Abbild frei zu werden und nicht mehr einem Inhalt zu dienen und mit der Feststellung, die Kunst endlich vom Inhalt befreit zu haben, wird der Kunst nur ein halber Dienst erwiesen. Liegt doch darin die Unterstellung, die gegenständliche große Kunst aller Kulturepochen der Vergangenheit wäre schon mit dem Ablesen der Legende erschöpft. Die Bilder der Surrealisten dagegen sind unbedingt literarisch bestimmt. Das Unbewußte im Menschen soll eine bildhafte Verwirklichung finden. Verschlüsselte Rätselbilder werden so zur Schau gestellt. Traumberichte zeigen den Menschen in paradoxer Existenz. Absurde Spiele, oft mit großem Raffinement inszeniert, schockieren den Betrachter und verlocken dazu, in psychische Zustände unterzutauchen, die die Kontrolle der Vernunft entziehen. Dass im Traumbericht aber die eigentliche Realität der menschlichen Situation zum Ausdruck käme, bleibt eine Behauptung. Der weiter zurückliegende Expressionismus entspringt dem eminenten Bedürfnis nach Mitteilung, nach Aussage, in dem er um das Bild des Menschen ringt, will er in transzendente Bereiche weisen. Die gesehene Natur erfährt eine temperamentvolle, oft gewaltige Umbildung, sie bleibt aber im Grunde spürbar, sie ist nur deformiert. Die Formsprache ist kühn und extatisch. Die psychologische Sicht ist Anlass zur Gestaltung. Das Resultat ist Kühnheit, Extatik und gemalte Psychologie und ist damit Dokument einer dramatischen menschlichen Situation. Der Expressionismus ist die echte Revolution als Reaktion auf die lange Zeit des Klassizismus und Akademismus, die Europa's Kunst verdorben hatten.

Der Symbolismus der Jahrhundertwende entdeckt in der Parallelität aller Erscheinungen oder in einer stilisierenden Monumentalität sein Gesetz der künstlerischen Gestaltung. Über eine empfindsame und ergriffene Anschauung der Natur, in Verallgemeinerung subjektiver Empfindungen, sucht er ein geistiges Gleichnis zu gestalten. Mit hoher moralischer Disziplin versinnbildlicht, steigert man die Natur, um ihr den Charakter des Symbols aufzuprägen. Er versucht Rationales und Irrationales zu vereinigen. Sein Thema umschließt die heroische, historische Vision, die Verbildlichung der Naturgewalten, menschliche Problematik, Motive des Alltags. Der Bildgedanke wird idealisiert, die künstlerische Form ist oft von erschütternder Größe und Feierlichkeit. Der Symbolismus gibt Zeugnis von der Sehnsucht, das wahre Wesen des Menschen in seiner Unergründlichkeit zu gestalten.

Weil dieser Kunstwille aber von der Erscheinung ausgeht, bleibt er im Bereich der Allegorie. Eine große Kunst vergangener Zeiten aber lehrt uns, dass es eine Schau von Gott her gibt. Eine geistige Zeit lebt von ihrem Ursprung her, sie sieht das Geschaffene vom Wesen her und nicht umgekehrt von ihrer Erscheinung.

Diese summarische Übersicht über eine Anzahl jüngst vergangener oder gegenwärtiger Kunstrichtungen soll den Versuch unterstützen, Werk und Welt des Malers Rudolf Heinz Keppel im Spiegel der Zeitsituation oder auch gegen diese zu deuten.

Früher einmal hatte das Bildwerk einen Gläubigen als Betrachter. Er schaute das Bild ohne Gedanken an Kritik oder an ästhetischen Genuss. Die Kunst gab Antwort auf letzte Fragen. Sie gab "das Bild des Menschen" als Antwort und das war wirksamer als jedes Wort und blieb wirksamer als jeder Begriff. Und die Kunst antwortet mit dem Symbol, denn sie sieht nicht die Natur, sie selbst ist Natur und naiv, sie ist Schöpfung. Nichts ist verschlüsselt, das Unbegreifliche, das Geheimnis liegt im Bild selbst. Erklären kann man ein Bild nicht, man kann seine Wirkung beschreiben, man kann bekennen, dass man es liebt. Diese Liebe, die man aber auch kaum begründen kann, ist ja wie ein Geheimnis. Das Geheimnis des Bildes ist nicht auszuschöpfen, es ist mit Worten nicht nachzusprechen. Man dürfte auch nicht daran rühren wollen. Nur der geistige Ort des Bildes ist ablesbar, man kann ihn mitteilen, vermitteln und man kann auch die künstlerischen Ausdrucksmittel benennen. Die Aufgabe des Mittlers kann nur darin liegen, die Fähigkeit des Beschauers zu unterstützen und zu steigern, die Bildvorstellung nachzuvollziehen, um, sich selbstvergessend, das Bild sprechen zu lassen. Denn, was das Bild ist, sagt es uns selbst.

Rudolf Heinz Keppel's Bilder haben nur ein Thema, den Menschen. Seine figuralen Bilder sind Aussagen. Zwischen Genesis und Apokalypse, den uralten Themen der Menschheit, stehen im Mittelpunkt seiner Themen Mann und Weib als polare Kräfte der Schöpfung. Mann und Weib in der Verschiedenheit, in der Berührung, in der Umarmung als Symbol für den erstrebten Zustand der Einheit, für das wahre Dasein. Mit Würde und ohne Pathos, in herber Schönheit, in Reinheit ist eine innere Wahrheit ans Licht gehoben. Streng ist die Auswahl der Themen, sie halten sich von alltäglichen Motiven fern. Die künstlerische Aussage ist durch keinerlei literarisches oder idealisierendes Programm bestimmt. Begriffe wie gut und böse, schön oder hässlich verstummen vor seinen Bildern. Sie sind keine Ich-betonte Anklage und keine schwärmerische, poetisierende Verherrlichung, sie sind nicht leidenschaftlich und nicht schöngeistig. Männlich, klar und verständlich zeigt er eine erschaute Welt.

Der Ursprung seines schöpferischen Willens liegt nicht im Gefühl und nicht im Gedanklichen. Nicht in der Betrachtung und noch weniger in der Beobachtung der Natur sieht er seine Aufgabe. Keppel's schöpferischer Impuls geht von einer geistigen Vorstellung aus. Einer Vorstellung, die einen rückgewandten Willen zum geistigen Ursprung voraussetzt, ein Absehen von der Erscheinungswirklichkeit einschließt und auf das Dauernde im Vergänglichen gerichtet ist. Es ist die Vorstellung, die die Idee meint, die den Menschen frei von Ideologien und Idealen sieht und weiß, dass die menschliche Existenz nicht in sich selbst begründet ist. Das ist der Ausgangspunkt, das ist der Grundakkord für Keppel's Schaffen. Er ist in seinen Werken ganz rein ausgesprochen, er ist in manchen Bildern nur berührt, immer aber ist sein Gestaltungswille davon bestimmt. Eine innere Welt tritt nach außen. Dieses so tief wurzelnde Lebensbewußtsein ist durchaus lebensbejahend, auch wenn ein großer, fast kultischer Ernst über seinen Bildern liegt. Diese Welt ist bejaht, aber sie ist erlitten, sie ist es auch in den gelassensten und in den so selten heiter und anmutigsten seiner Schöpfungen. Seine Menschengestalten ruhen in sich selbst. Sie stehen und schreiten, liegen oder schweben, sie berühren sich oder stehen in Beziehung zueinander. Die Gebärden sind unpathetisch. Ein Emporheben der Arme, geöffnete oder geschlossene Hände, die Haltung an sich schon ist Dichtung, ist Deutung. Sie ist künstlerische Substanz und braucht nicht Objektr zu umkleiden oder vergleichend zu verherrlichen. Eine Kunst die erschaut, bewahrt das Geheimnis und bezeugt das Wunder der Schöpfung.

Eigenwillig formt Keppel Körper und Antlitz seiner Gestalten. Der Aufbau der menschlichen Leiber ist formalen Gesetzen unterworden, er ist dem Rhythmus des Bildes eingeordnet. Die Deformation ist nicht gewalttätig, sie bleibt verständlich. Sein Formen überzeugt durch seinen Geltungswert. Nicht Beobachtung und Wissen wird Realität. Empfindung füllt die Form mit elementarer Energie, ein Glaube wird Realität. Nicht der optisch räumliche Bezug der Dinge zueinander ist für Keppel darstellenswert, er zeigt jedes Ding erst allein in seiner Geltung und ihre Beziehung zueinander ist nicht literarisch, sie ist geistiger Natur. Keppel schafft sich gleichsam eine zweite Natur, er erfindet den Menschen neu. Sein ganzes Bild ist ein Organismus, der einer künstlerischen Logik entspringt. Jede Linie, jeder Farbfleck, jede Nuance ist dieser Logik unterworfen. Und allein hier, an der erreichten Übereinstimmung vom geistigen Standpunkt, Absicht und Realisierung, ist überhaupt die Wertung eines Kunstwerkes möglich, nur daran lässt sich Kraft und Höhe der künstlerischen Leistung ermessen. Und eine Kritik kann nur dort sinnvoll einsetzen, wo diese Übereinstimmung verletzt oder nicht erreicht ist. Ein Bild kann nur aus der eigenen Herkunft und aus der eigenen Substanz heraus kritisch betrachtet werden. Alle andere Kritik ist dumm und diktatorisch. Aus Farbe und Zeichnung lässt Keppel die Form entstehen. Die Faszination der Farbe, die Strenge der Kontur ist dem Bildganzen eingeordnet, dem Bild, dessen rhythmischer Plan erfassbar und der ebenso rühmenswert ist. Das Bild bleibt Fläche und ist doch Raum, geistiger Raum. Gefunden und erarbeitet wächst es gleichsam aus jeder Stelle. Es gibt keinen Vordergrund, es gibt keinen Hintergrund. Scheinbar spielerisch ordnen sich Farbflächen oder ein farbiges Liniament nach einem geheimen Gesetz um die Farbflächen der menschlichen Gestalt, die als Trägerin des Themas mei- stens die Dominante im Farbklang bleibt. Die Figur steht in einem Bildraum, der durch seine Ungegenständlichkeit meditativen Charakter ins Bild trägt. Nie ist die Bildwirklichkeit laut oder aggresiv, sie ist gleichsam zurückgeholt und man muss sich in längerer Betrachtung dem Bannkreis des Bildes stellen. Keppel's Bild ist dem Inhalt nach verständlich, es ist verständlich vom Formalen her. Es ist gewiss nicht volkstümlich. Die tiefsten geistigen Werte sind nicht volkstümlich.

"Im Spiegel erkennen wir unser leibliches Angesicht, im Gleichnis erkennen wir unseren Sinn, unser Gesicht wie es ist seit Anbeginn." Das ist das Bekenntnis des Malers Keppel, und diesem Bekenntnis weiß er sich verpflichtet.

Er erkennt das Gesetz seiner geistigen Existenz im Einklang mit dem Gesetz alles Geschaffenen. Er hat die Fähigkeit, dieses Gesetz rein zu vernehmen. Sein entschiedener Formwille, seine kraftvolle Daseinsbejahung ruht in einer transzendenten Gebundenheit. Dieses Lebensbewusstsein drängt nach Gestaltung, es drängt zum Bild des Menschen aus einer geistigen Sicht, vom unnennbaren Wesen her. Die Einheit von Schau, Inhalt und Stil gibt dem Werk die Kraft des Elementaren. Keppel ist kein Symbolist. Seine Kunst ist unproblematisch. Sein Ausgangspunkt ist nicht die subjektive Empfindung, sein Ausdrucksmittel ist nicht die Natur. Niemals im Gesehenen Anlass zur Nachbildung, er braucht kein Modell, dass er es vielleicht idealisiere oder reduzierend monumentalisiere, wie es der Symbolist getan hat. Er baut seine Gestalt als geistige Funktion, fern vom Realismus des Alltags. Keppels Bilder haben nie profanen Inhalt, sie rühren immer an ein Geheimnis.

Das Bild "Weib auf der Kugel" zeigt eine stehende nackte Frau mit verschränkten Armen. Es gibt keine Erinnerung an ein Modell, die Formgebung ist schöpferisch. Die geschlossenen Augen der Frau unterstützen den Ausdruck des selbstsicheren, aber durchaus nicht herausfordernden In-sich-Ruhens. Die Ausstrahlung der Gestalt ist bei aller Sinnenhaftigkeit so eindeutig abstrakte Mächtigkeit, dass das Wort "Weib" in elementarer Bedeutung ausgesagt ist. Modellierung und Kontur sind schön in ihrer Eigenwilligkeit. Das leicht angezogene Bein ist nicht nur ein Bewegungsmoment, das die Ruhe der Gestalt noch überzeugender macht, es ist gleichzeitig ein Unruhmoment im Bild, das in der spannungsvollen farbglühenden Bildfläche seine Steigerung erfährt und erregend und schön zugleich ist.

Das "Liegende Weib", das linke Teilstück eines Triptychons, ist in einen Raum gesetzt, der gegenständlich kaum erklärbar ist, aber surreal im wahrsten Sinn des Wortes Überwirklichkeit ausstrahlt und auf rätselhafte Weise Ruhe und Unruhe in einem ist. Hier bringt eine stellenweise gewaltsame Steigerung der Linienführung, ebenso wie eine bewusst harte Formgebung des langgestreckten Leibes, der zu gewaltigen Hüften aufschwingt, dramatische, ja dämonische Akzente ins Bild. So selbstverständlich wie die eine leuchtende Frucht im Bilde, ruht diese Frau. Die intensive Farbgebung enthält dieselbe innere Spannung. Auch sie taucht das Bild in eine geheimnisvolle Atmosphäre, die weder licht noch dunkel zu nennen ist. Die Unbewegtheit der Liegenden ist trotz des Spiels der Glieder äußerlich wie innerlich Ausdruck des Verharrens. Im Raum befangen, Element des Weibtums. Das Bild hat Schönheit im Formalen und es ist schön von innen her.

"Kind in der Welt" heißt das rechte Teilstück des Triptychons. Auf einer, auf den ersten Blick chaotisch erscheinenden Bildfläche in meist gebrochenen zurückhaltenden Farben von starker Raumwirkung, leuchtet hell der kindliche Körper. Er erscheint wie von leisen Wellen getragen. Die Arme sind emporgehoben, beide Hände bedecken das Gesicht und geben nur die weitgeöffneten Augen frei. Wie eine Blüte erschließt sich dieser kleine Körper. Er ist selbst das Licht. Bewegtes Wasser unterstützt eine fließende Bewegung, die durch das Bild zieht. Die Horizontale bestimmt den Rhythmus des Bildes, gegen sie richtet sich nur der Wuchs der Pflanze. Das Spiel der gegenstandslosen Bildelemente verlangt keine Deutung. Ohne Bruch vereinigt sich Formalistisches und Gegenständliches zu fesselnder Wirkung. Die geheime Unruhe, das Wachstum gleichsam jeder, auch der kleinsten Stelle auch in diesem Bild, durchströmt unerklärlich den Bildraum, der sich einer Begrenzung fast widersetzt. Das ist von innen her gestaltet, aus einer Eingebung geschöpft. Nicht aus dem Unbewussten, sondern Ausdruck eines innerlichen Sehens und Wissens. Diese erfundene malerische Verwirklichung, wo jede Farbe die andere ruft und gleichsam immer neue Tiefen aufreißt und wieder schließt, diese schöpferische Erfindung verbindet sich auf das Glaubhafteste mit der bewussten und schönen Ausdruckskraft der Natur, die die Bildidee trägt.

Auch in dem Bild "Jüngling mit emporgehobenen Armen", dem Mittelstück des Triptychons, ergreift und beseelt die Idee nicht nur die Gestalt, sondern jede Einzelheit des Bildes. Den gespannten Körper umreißt eine Linie, die nicht sinnliches sondern rhythmisches Ausdruckselement ist. Gleich einer vielschichtigen Symphonie umschließen Strahlenbündel leuchtender und verdämmernder Farbflächen den Körper und zwingen den Betrachter zum Thema hin. Der Jüngling ist weder ein Klagelied noch eine klassische Erhöhung des Schönen, weder romantische Träumerei noch ethisches Moralisieren. Eine leidvolle Frage spricht nicht nur aus dem Antlitz, sie ist anschaulich geworden im ganzen Bilde. Mit Überzeugung greift Keppel zu Themen, die vielleicht einer heutigen künstlerischen Dogmatik allzusehr mit humaner Gefühlsfracht beladen erscheinen. Man glaubt vielfach, dass die Voraussetzungen dazu nicht mehr gegeben seien. Aber gewiß ist, dass die freiesten und größten Kräfte zwischen den Extremen stehen und gewiß ist, dass das menschliche Herz, allen veränderten Situationen zum Trotz, eine Kraft ist und die einzige bleibt, die Dauer hat. Das Herz hat und behält die Empfindsamkeit, auf der alles menschliche Bemühen aufgebaut ist. Leid kann zum Geistigen führen, nicht aber der Intellekt, der sich dem sogenannten Unbewussten bindet.

In ernstem pastoralem Farbklang zeigt sich das Bild "Mann und Weib schwebend". In fast reliefartiger Komposition ist die Umarmung der beiden Gestalten bildhaftes Sein geworden. Mann und Weib in der Umarmung als Symbol für den erstrebten Zustand der Einheit. Worte können den Zauber der Entrückheit, die Zeit und Namenlosigkeit und die Reinheit dieses Geschehens nicht beschreiben. Dieses innerliche Geschehen hebt die Darstellung durch dichterische Überhöhung als Gleichnis des Lebenswunders aus dem vergänglichen Sein. Die Figuren sind entpersönlicht, es sind Gestalten aus Keppels innerer Welt, groß durch die Größe seiner Anschauung. Hier, in den Schwebenden bedient er sich einer, bei ihm sonst seltenen plastischen Eindringlichkeit. Ein großer Atem ist in diesem Bild. Der etwas aus dem Zentrum gerückte Schwerpunkt des Bildes nimmt auch hier alle Statik. Das Bild ist episch. Die Schwebenden sind das zentrale Thema in Keppels Bildschaffen. Es existieren viele Fassungen dieses Entwurfes. In Graphiken, in Staffeleibildern, im Fresko hat Keppel die Schwebenden variiert, er hat immer wieder um den verborgenen Symbolwert gerungen.

Mehr noch als in den Schwebenden, tritt in dem Werk "Paar sich berührend" der epische Erzählungswert zurück , zu gunsten einer reinen Vergegenwärtigung. Mann und Weib, zwei polare Welten in Berührung, dass ist das Thema. Die stehende Frau, der schwebende Mann werden in einem gewaltigen Bogen zu einer Bewegung verschmolzen. Diese Bewegung findet kein Ende. Der Bildraum und die beiden Gestalten haben einen Rhythmus, eine geistige Atmosphäre. Auch dieses Werk ist ein malerisches Bild. Auch die Farben und das Licht sind aus seelischer Kraft geboren. In ihrer Beziehung zueinander, in ihren Schwingungen, in ihrer Schwerelosigkeit sind sie ebenso vergeistigendes Element, werden auch sie zum Gleichnis. Diese Vibration der Farb-, Ton- und Flächenwerte gibt ein fließendes Erscheinungsbild, das gleichsam nie zur Ruhe kommt. Ein Geheimnis durch Farbe und Licht lebendig gemacht. Eine Malerei, die außerdem den Reiz der Oberfläche nicht vermissen läßt. Wenn der Stil der Symbolisten noch oft Spuren eines kämpferischen Weges aufweist, der aus ihrer Befangenheit in der sinnlichen Darstellungsweise, aus dem Versuch, rationales und irrationales zu vereinigen, zu erklären ist, so hat Keppels Ausdrucksmöglichkeit, bei aller thematischen Verwandschaft, überhaupt nichts mehr mit einer optischen Betrachtung der Natur zu tun. Er braucht den Bedeutungskern nicht herauszuarbeiten. Er bringt die schöpferische Naivität des Gestaltens mit.

In dem Bild "Drei Frauen und ein Kind", in dem er die Lebensalter der Frau in schlichter anschaulicher Form aufzeigt, besteht auch kein Erzählungszusammenhang mehr. Imagographisch kann man nicht nur das Ordnungsprinzip seines Schaffens nennen. Imagographisch ist vor allem das geistige Prinzip seines Schaffens. Eindeutig und ernst bekundet sich auch in diesem Bild eine Lebensschau, die in neuer Sicht ewig Darstellenswertes deutet. Wieder ist ein dichtes, sehr differenziertes Netz von farbigen Flächen und schwingenden Linien, in immer neuen Variationen Mitträger des künstlerischen Ausdrucks. Der meditative Charakter dieser formalistischen Flächendynamik dient der Idee des Bildes. Der Grundgedanke jeden Bildes ist immer klar ausgesprochen. Im Mittelpukt der Themen steht die männliche Welt, die weibliche Welt. Keppel zeigt diese Welt im Gleichnis, er zeigt sie in neuer Sicht. Wenn diese Sicht auch nicht von einer breiten Zeitbewegung getragen ist, so wird sie doch in ihrer eminent geistigen und menschlichen Bedeutsamkeit, ihren verborgenen Symbolwert erweisen und zur Klärung im Ringen um eine geistige Situation des heutigen Menschen beitragen.

Keppels Empfindungsreichtum, sein kompositionelles Vermögen und vor allem seine Religiosität führt ihn zu dem großen Thema der "Apokalypse". Religiosität ist Keppel ein natürlicher Zustand. Sechs große Tafeln füllt er mit visionären Bilder der Offenbarungslegende. Es sind nicht Phantasien, die in eine reale Welt einbrechen, nein, bildhaft wird jedes Wort der Bibel nachgesprochen. Frei von Dogmatik öffnet sich eine geistige Erlebnissphäre, die den Beschauer suggestiv ergreift und einbezieht. Des großen Zusammenhangs der Kunstepochen im Spiegel dieses Themas wohl bewusst, beweist Keppel trotzdem auch hier Originalität. Ob es der über den Landen schwebende Evangelist ist, ob es das Weib auf dem Drachen oder die gekrönte Maria ist, jede Tafel ist mit großer eindringlicher Anschauungskraft gestaltet, in leuchtendem malerischen Überschwang. Wenn man vom Inhalt der einzelnen Tafeln absehen würde, behielte jede trotzdem ihren Sinn in der Geschlossenheit der Gesamtkonzeption, allein durch den Eigenausdruck der Farbflächen und des Liniengefüges.

Die "Genesis" ist ebenso reich an Erfindung. Wie die "Apokalypse" ist auch dieses Werk ein Zyklus in sechs großen Tafeln. Großzügig ist jede Tafel komponiert. Wie ein Wellenschlag geht ein Rhythmus durch alle Bilder. Ein starker Kontrast von hell und dunkel, eine ganz freie Malweise, die nur den seelischen Klang der Farben kennt, zeugen von der Energie der künstlerischen Formgebung. Die malerische Handschrift meidet jeden Effekt, sie ist nicht nervös, nicht fiebrig expressiv, sie hat den Charakter der bildnerischen Ehrlichkeit, sie ist untergeordnet. Der Sinn der einzelnen Bilder kommt prägnant zum Ausdruck. Ob nun in einem Bild ein Wort der Apokalypse oder eines der Schöpfungsgeschichte gestaltet wird, oder ob das Thema "Mann und Weib" heißt, immer wird Keppel das Rätsel des Daseins berühren. Das Diesseitige ist nicht nur mit nachdenklicher Tiefe ausgesagt, es ist berührt von einem übersinnlichen Hauch. Die menschliche Existenz ist von Transzendenz gleichsam aufgefüllt. Sie ist eingebettet in eine Unaufhörlichkeit und sie ist erlitten. Das Leid ist dem menschlichen Dasein ganz verbunden. Es ist der tiefste Grund seiner Welt. Die Energien des modernen Menschen laufen Gefahr, im Massendenken unserer Zeit zu versanden. Die technische Perfektion unserer Zeit lässt uns unsere täglichen, nur mehr zweckdienlichen Handlungen fast automatisch erledigen. Das Ursprüngliche tritt kaum mehr ins Bewusstsein. Selbst die Wunden großer Katastrophen in der Lebensspanne unserer Generation schlossen sich hektisch und oberflächlich. Zu der Hoffart des technischen Wissens und der Vitalität, gesellt sich eine Pseudodämonie, ein Spiel mit Verneinung und Untergangsgedanken. Wir bedienen uns erstarrter Lebensformen, die vor uns erdacht, die heute aber für uns nicht mehr lebensträchtig sein können und uns hindern, das Geheimnis der Schöpfung und das des eigenen Lebens zu spüren, und das eingene Leben zu gestalten. Große Kunst aber steht und mahnt im Angesicht dieser herrlichen und erschreckenden Ursprünglichkeit. Keppels Kunst läßt uns wieder das Schöpfungswunder ahnen, seine Schönheit, seine Dämonie, seinen ewigen Rhythmus.

In Keppels vielseitigem Schaffen nimmt auch das Wandbild einen großen Raum ein. Der durchaus architektonische Bau seiner Bilder ist ja wandgerecht. Außerdem kommt da auch jener Teil seiner künstlerischen Kraft sehr schön zur Geltung, dem man illustrativen Charakter zuschreiben kann. Das Wandbild als Fresko, Mosaik oder als Gobelin wird ja eine illustrative Note haben müssen, sofern es gegenständlich ist. Keppel hat dekorative Begabung, aber sein Wandbild bleibt nicht Schmuck allein. Sein großes Mosaik "Die Generationen" zeigt die Kindheit, die Reife und das Alter in vielen Figuren verkörpert. Ein schöpferischer Wille zwingt diese Darstellung in einen großen Rhythmus der Flächen, die in einfacher Schwarz-Weißwirkung, nur bereichert durch kleine Farbnuancen, ebenso Abstraktion sind, wie die ausdrucksvollen Figuren selbst. Die innere Größe dieser Bilder, das Kindhafte, die Lebensfülle und das Greisenalter gibt dem Mosaik epischen Charakter. Jede Gestalt illustriert in prägnanter Klarheit den gedanklichen Inhalt und ist frei von Pathos. Keppel braucht auch hier nicht zu stilisieren. Seine Tafelbilder haben ja den selben architektonischen Charakter, der Unterschied liegt nur im Material. Es gibt bei ihm keine Trennung zwischen Staffeleibild und Wandbild.

Keppel hat eine Fülle von Graphiken geschaffen. Radierungen, Holzschnitte, Monotypien, Bleistift-, Feder- und Pinselzeichnungen. Sie alle haben dieselben Wesenszüge wie seine Bilder. Hier in der Graphik wird in jedem Blatt deutlich, dass ihm die Linie nicht sinnliches sonder rhythmisches Element ist. Auch die Zeichnung dient ihm grundsätzlich nicht zum Studium der Natur. Die Absicht seiner Formgebung ist auch hier diesselbe wie in seinen Bildern. Die Formgebung ist existenz-verdichtend. Die Zeichnungen sind auch nicht Notizen, sie dienen nicht der Vorbereitung von Werken, sie sind selbst Endzweck. Sie sind genauso erarbeitet wie die Tafelbilder, an denen Keppel jahrelang arbeitet. Denn das Wachstum jedes Bildes vollzieht sich gleichsam in Zeitperioden. Auch der Bildraum der Zeichnung ist dem Wirklichkeitsraum keineswegs entsprechend, er ist gewollt entgegengesetzt.

Das bevorzugte Material ist die spröde Feder. Der Pinsel modelliert nicht, er schafft lavierende Flächenbezüge, die in ihrem dynamischen Rhythmus der seelischen Akzentuierung dienen. Die Einzelheit, das Detail ist mit energischer Disziplin der gestalteten Idee untergeordnet. Die thematische Fülle ist unerschöpflich groß. Keppel zeichnet bekleidete und nackte Gestalten, immer wieder variiert er das Thema "Mann und Weib". Er sucht nicht die antike Nacktheit, nicht die enthüllende, auch nicht die romantische oder klassische Nacktheit. Es ist einfach der Mensch, dessen Antlitz und Körper in seiner Totalität zum Gleichnis wird. In seinen Portraitköpfen beweisst er eine sensible Charakterisierungsfähigkeit in dem Sinn, dass auch hier eine innere Welt zum Charakter wird. Diese Köpfe sind keine Portraits vom Modell her, es sind freie Portraits, sie tragen individuelle Züge, sie sind äußerst scharf pointiert. Es ist immer eine Persönlichkeit, die gestaltet wird, eine Persönlichkeit, in der sehr oft das heutige Gesicht, der Typus unserer Zeit zum Ausdruck kommt.

Keppels Kunst ist eine Kunst mit Objekt, ja, sie ist eine Kunst mit Inhalt, sie ist gebunden an den Inhalt. Aber sie ist nie gemalte Literatur, nie kommentierende Illustration. Der Inhalt bleibt nicht im Halbdunkel eines schönen oder ästhetischen Gefühls. Der Inhalt wird direkt ausgesagt, klar, fast hart. Seine Kunst ist nicht programmatisch, sie ist es nur in dem einen Punkt, dass für seine Malerei sinnliche Wirkungselemente ausgeschlossen sind. Seine Ausdruckssprache ist unsinnlich, seine Formgebung ist Abstraktion, seine Farbe ist vergeistigt, seine Linie Rhythmus. Eine glückliche Synthese geistiger Bedeutsamkeit und gleichwertiger formaler Ausdrucksmittel. Eine Malerei von poetischer Substanz. Keppels Kunst restauriert nicht entwertete Werte, sie führt keine Richtungs-Tradition weiter. Aber der Mensch, umfassend gesehen, gegenwärtig in methaphysischer Sicht bleibt Sinngehalt seiner Kunst. Keppel hat eine Transzendenz in Inhalt und Form erreicht, die einer geistigen Erlebnissphäre entstammt und in diese führt. Seine Kunst ist wieder Botschaft. Keppels Bild ist ein neues Gleichnis der Schöpfung.

Wien, Sommer 1969

 
Zurück zu den Eröffnungsreden von Herbert Stepan