Texte - Herbert Stepan - Niederösterreichische Maler und der bilderische Ausdruck von 1900 bis zur Gegenwart

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Herbert Stepan

Niederösterreichische Maler und der bildnerische Ausdruck von 1900 bis zur Gegenwart

Vortrag im Niederöster. Heimatwerk , 7. Autorenabend am 12.5.1955

Heitere Anmut und empfindsamer Geist, ein natürliches herzliches Gemüt, sinnenfrohe Lebensbejahung wie auch gläubige Tiefe - dies ist als ein glückliches Erbe dem hier geborenen, dem Österreicher geschenkt. Durch das Medium des Künstlers gestaltet, im harmonischen Zusammenklingen, gleichsam wie eine farbige Melodie wiedergegeben, so hat die österreichische Kunst, durch Jahrhunderte in kostbaren Schöpfungen, sich selbst ein unvergängliches Denkmal gesetzt. Wien und seine wunderbare Landschaft, Niederösterreich als Heimat, ist am Wachstum und Werden seiner Künstler nicht nur beteiligt, sie war und ist die Voraussetzung für ein bodenstän- diges Kunstschaffen, das mit treuem Glück seit frühesten Zeiten, bis in unsere, manchmal problemüberschatteten Tage, unser geistiges Leben prägt. Zu Unrecht oft, mit Vorbehalt "lokal" genannt, vermag die österreichische Kunst aber in jedem Jahrhundert, vollkommen gleichwertig mit den Leistungen anderer Länder, den Zusammenhang mit der europäischen Kunst zu wahren. Ja, je mehr sich unsere heimische österreichische Kunst, dem Ort, der Heimat, der Zeit und der Tradition verbunden erwies, umso charaktervoller, großartiger und glücklicher war ihre Gestaltung. War je das gesammte künstlerische Leben einheitlicher, produktiver, einzigartiger und wienerischer als in der Biedermeierzeit, der vielleicht harmonischsten Epoche österreichischer Kunst?

Es war die Zeit, die man den "Herbstfrühling der Wiener Kultur" genannt hat, die Zeit, deren Wirkung wir auch heute noch spüren, so kraftvoll ist ihre Ausstrahlung. Es war die Zeit, die sich die Natur auf neue Art eroberte. Angeregt durch das feine, tiefe Naturempfinden der vorangegangenen romantischen Nazarener, entdeckt nun der Biedermeier-Künstler seine Liebe zum heimatlichen Boden.

Und dieser gesegnete heimatliche Boden ist die Wiener Landschaft, Wien mit seinen Vorstädten noch ganz einbezogen in die wunderschöne niederösterreichische Hügellandschaft mit ihren Winzerdörfern, ihren Bergen und Ebenen, ihren Wäldern, Bächen und Flüssen, mit ihren Menschen, ihrem Leben und Alltag. Niederösterreich und Wien damals, war ja nicht so getrennt wie es jetzt erscheint. Manche der Künstler dieser Zeit sind ihrer Herkunft nach Niederösterreicher, Gauermann ist es z.B., ein Kupelwieser auch. Alle aber, alle Wiener Maler dieser Zeit, haben ihre Heimat auch vor der Stadt, in Niederösterreich, ob sie nun Landschaftsbilder, Blumen oder Genreszenen malen. Ihr Werk wuchs aus diesem Boden, dem sie mit tiefer Liebe verbunden waren. Ein malerischer Realismus bringt nun die größte Unmittelbarkeit der Gestaltung ganz einfacher Naturmotive, der schlichtesten anmutigsten Szenen aus dem Volksleben, er entdeckt den Zauber des Lichtes, das die Bilder immer farbiger, freier, flüssiger, atmosphärischer macht. Der malerische Naturalismus hatte sich eine Bahn gebrochen, sich aber eine tiefe Andacht vor der Natur bewahrt.

Eine Anzahl von Künstlern schaffen damals ihr Werk, Ranftl, Fendi, Gauermann, Amerling, um nur die bedeutendsten zu nennen. Ihre Kostbarkeit besteht darin, dass ähnliches so absolut und typisch österreichisch nirgends sonst zu finden ist. Wie gleichsam Blumen, die nur hier bei uns wachsen können, und auf dem weiten Erdenrund nicht ihresgleichen haben, so geben sie ihr Werk, mit einer Einmaligkeit der Fülle, mit wirklicher Liebenswürdigkeit und Reichtum, mit einem Eingehen auf Dinge, die die andere Welt nahezu gar nicht kennt. Ein bewußtes Bescheiden und dadurch eine ganz besondere Glückhaftigkeit zeichnet sie aus. In Waldmüller tritt uns eine, wenn auch nicht gewaltige, aber absolut geschlossene Welt entgegen. Eine Welt, in der der Mensch, die Landschaft mit ihren Bäumen, ihren Häusern, Blumen, mit ihrem tiefsatten blauen Himmel, eine Lebensbejahung vermittelt, eine Lebensbejahung, die den österreichischen Menschen auszeichnet. Aber zum Unterschied zu den französischen Impressionisten vergißt er niemals auf den Inhalt dabei. Das Poetische, das Dichterische ist letzten Endes doch immer Ausgangspunkt seines gesamten Schaffens. Der Österreicher ist kein reiner Augenmensch, sondern die Seele ist bei all seinem Schaffen immer beteiligt. Waldmüller - Wiens Sonnenmaler - in seiner Landschafts- und Genrekunst schon sehr um Lichtprobleme bemüht, mehr noch dann Rudolf Alt in seinen zarten Bildern, Schindler in seinen prachtvollen Landschaften und Pattenkofen in seinen poesievollen Dichtungen ganz besonders - sie alle bringen mit ihrem Werk schon wesentliche Beiträge zum dichterischen poetischen Impressionismus der modernen europäischen Kunst.

In Wien war es um die Jahrhundertwende die Sezession, die dem Impressionismus den Weg frei machen sollte, der hier aber nie so guten Boden fand, wie besonders natürlich in Frankreich oder auch in Deutschland. Anders als es einer ihrer Mitbegründer, es war Rudolf Alt, vorausgesagt hatte, wurde die Sezession hingegen Wegbereiter für Gustav Klimt, dessen dekorative ornamentale Art ganz dem Impressionismus entgegengesetzt ist.

Der Niederösterreicher Gustav Klimt, er ist im heutigen Wiener Bezirk Baumgarten geboren, nimmt inmitten des weiteren Kunststrebens auf dem Kontinent gewiß eine Sonderstellung ein und blieb allein. Vom Impressionismus ist er gänzlich unberührt. Es entsprach vielmehr seinem Streben nach einem großen dekorativen Stil, so wie seinem Wesen, seiner Veranlagung, dass er sich dem byzantinisch-orientalischen Schmuckkünstler verwandt empfand und diese Einflüsse begeistert aufnahm und zu eigenstem verarbeitete. Als Zierde für die Wand gestaltete er unter Verzicht auf jede Raumwirkung, gobelinartig seine Bilder, mit buntem Kolorit, großem Geschmack, mit raffinierter Erotik - als ein geistvolles empfindsames Spiel, das aus den Nerven kommt und zu den Nerven spricht. Der Maler Klimt, ein typischer Großstädter wendet sich mit seinem Werk an eine ganz bestimmte Gesellschaftsschicht. Charakter, Seele, Vertiefung sind nicht so sehr sein Anliegen, selbst in seinen sensiblen Portraits bleibt er bei einem bestimmten Typus, genügt sich völlig im Dekorativen und Gefühlsmäßigen. Dies freilich mit kultiviertester Meisterschaft, mit wienerischer Grazie, mit Erfindungsreichtum und Sinnenfreudigkeit, als Spiegelbild der eigenen, der Klimt'schen Mentalität. Trotz der vielen fremden Einflüsse spürt man immer wieder die besondere österreichische Note, die österreichische Musikalität, den leichten Sinn. Mit Staunen bewundert man die feinnervigen Linien seiner Zeichnungen. (Zur Illustration sind einige ganz meisterhafte Aktzeichnungen und Portraits aufgestellt.) Man bewundert die Linien, die schmiegsam, schmeichelnd, vibrierend die Form nachtasten, die außerdem die völlige Beherrschung des menschlichen Körpers verraten, oder wie die in wenigen arabesken Umrißlinien gebrachte luftige Gewanddrapierung die Wirkung des nackten weiblichen Körpers erhöht. Ein brillanter Könner hohen Ranges, schafft er in einer unendlichen Fülle von Zeichnungen Studien für seine Gemälde. Fast möchte man sagen, dass die Zeichnung für Klimt das Primäre war, auch in seinen Gemälden, die oft grüblerisch psychologische Probleme zum Inhalt haben, Gemälde großartigen literarischen Inhalts. Suggestive Ornamentform, opalisierende Farben von magischer Wirkung, Gold- und Silberbelag sind seine Ausdrucksmittel, die oft auch mit naturalistischen Stilmitteln auf ein und demselben Bild vermischt werden. Seine Bauerngärten, Baumgruppen, seine Häuser am Wasser und Gartenbilder, unkomplizierte, bunte Teppiche, erlesene Schmuckstücke auch sie, sind wie in heiterster Laune geschaffen. Die "Philosophie", die "Medizin", die "Jurisprudenz", die großen figuralen Arbeiten sind Hauptwerke Klimts, um nur einige zu nennen, sie sollten die Decke des gtoßen Festsaals der Universität schmücken, wurden dort aber nicht angebracht.

Klimt ist aus der Makart-Zeit hervorgegangen, mit ausgesprochen dekorativer Begabung hat er sein Werk geschaffen. Immer ist die Fläche, die Linie und die suggestive Farbe seine künstlerische Absicht. So hat er seine Bilderwelt hingestellt, als Repräsentant einer Generation, die gewiß nicht mehr ganz frei war von Dogmen und Moden und Unsicherheit.

Der Impressionismus hatte in Frankreich seine schönste Erfüllung gefunden, meisterhafte Leistungen dieser Richtung sind in Deutschland entstanden, er hatte mit einer Fülle von Werken das Kulturgut Europas bereichert. Aber sein programmatischer Bruch mit der Tradition hatte ihn in konsequenter Weiterführung immer mehr zur Kunst des Optischen, des vorübergleitenden Augenerlebnisses, des nur Sichtbaren werden lassen. Auch der Mensch wurde dann nur mehr stillebenhaft, bloßer Anlaß zum Bild wie andere Gegenstände auch, die Seele vergaß man. In den Pünktchen und Strichen des Pointillismus war er schließlich nur noch Mode und führte zur völligen Auflösung der Form. Das aber mußte eine Reaktion heraufbeschwören. Der Kubismus war es, der mit den geometrischen Grundformen Ding und Mensch wieder aufbauen sollte. Der Kubismus brachte in formaler Beziehung ein neues künstlerisches Denken ans Licht. Er hat seine entscheidende Wirkung gehabt. War weiters beim Impressionismus der Gegenstand der Malerei fast völlig gleichgültig geworden und entschied nur mehr die malerische Qualität, so verkehrte sich diese Forderung dann ins Gegenteil und man sagte, nicht das "Wie" sondern das "Was" sei entscheidend, also der Inhalt, das Thema. Aus dem Empfinden, dass es doch in der Kunst eine Stufung gäbe, und eine figurale, thematische Komposition nicht unbedingt einem Kartoffelstilleben gleichzusetzen sei, sollte man dem Gefühl der geistigen Idee wieder zum Recht verhelfen. Unter Hintansetzung der Form, sollte das Seelische überwiegen. Der Expressionismus, die Ausdruckskunst entstand, er ist von tiefgreifenderer Wirkung als der Kubismus.

Mehr noch als bei Klimt ist bei Egon Schiele, auch er ist Niederösterreicher, er ist in Tulln geboren, ein problematisches Suchen und Drängen in seelische Bereiche vorherrschend. Er begann als Schüler Klimt's, ja ihn nachahmend hatte er sich wie sein Lehrer der Fläche, dem Dekor verschrieben, nicht aber mit dessen verfeinerter Maltechnik. Auch bei Schiele wird immer mehr das Milieu bestimmend, in anderem Sinne freilich. Denn, Großstädter entsprechend seiner Veranlagung und Gemüt wie Klimt, stand er nur auf einer anderen Seite, er sah das Elend. Allerdings möchte man fast sagen, dass ihn seine Phantasie verführte, oft spielerisch nur mit diesen Eindrücken von Krankheit, Hunger und Verdorbenheit umzugehen, dass er sich darin gefiel. Erst später kam die große Erschütterung, die ihn zu reifer menschlicher Mit-Leidensfähigkeit führte. Eine dumpfe, schwere Farbgebung ist ihm willkommen, er kann sich nicht genugtun an skurrilen Motiven, er übersteigert sie. Auch die Zeit und schwere Ereignisse bringen ihm Verdüsterung und Pessimismus. Fragend stand er seiner Umwelt gegenüber, er stand im Gegensatz zur akademischen Lehre. Expressiv, fast pantomimisch ist der Gehalt seiner in stillisierender Art gebrachten Zeichnungen. Zeichnen heißt bei ihm Weglassen. Ein harter Ausdruck, fast bis an die Grenzen der Erträglichkeit ist in seinen Schöpfungen. Unabhängig von der naturhaften Erscheinung wird sein Liniengefüge zum krausen Ornament. Mit 20 Jahren ist er ein Meister der modernen graphischen Kunst. Mit großer Sicherheit entsteht ein Netzwerk abstrakter Linien, ein System kubistischer Formelemente, um die menschliche Gestalt zu bilden. Die kühnen Verkürzungen seiner Aktzeichnungen entsprechen einer hektischen erotischen Gestik. Die, den vor der Natur entstandenen Zeichnungen, später hinzugefügte intensive Farbe, soll noch die Steigerung erhöhen. Trotz seiner oft gewagten Themen (man denke nur, diese Themen würden von einem norddeutschen Künstler gestaltet sein!) spürt man in seinem Ausdruck doch eine österreichische Liebenswürdigkeit, ja ich möchte fast sagen, ein launiges Spiel. Von einer anderen Seite zeigt sich Schiele in seiner Landschaftskunst. Blumen, Bäume, alte Dörfer, Schindeldächer, Scheunen und Zäune zeigen seine Liebe zur Schönheit der Landschaft, zu seiner Heimat, sie zeigen wie verwurzelt er in der österreichischen Landschaft war. Wie aus seinen Werken spricht diese Begeisterung auch aus seinen Briefen und Tagebüchern. Schiele's Schaffen, erregend, ungewöhnlich, hatte in Deutschland, wo sich im "Blauen Reiter" die expressionistischen Kräfte zusammen gefunden hatten, große Zustimmung gefunden. Er beteiligte sich dort an vielen Ausstellungen.

Sein Spätstil dann wird klarer, ruhiger und greift in tiefe seelische Bezirke. Sein Hauptwerke, es sind große Aktkompositionen, wie z.B. die "Familie", die "Kameraden", sowie Bildnisse gewinnen durch diese Zurückhaltung, werden charaktervoller und ergreifen in ihrer Einfachheit. Es ist eine Welt, die da dann aufsteigt, allerdings eine Welt, die erschüttert durch ihre Trostlosigkeit und Leidensfähigkeit. Schieles Mentalität, sein Milieu - Kind einer trüben und kranken Welt - hat seine Gestaltung geprägt. Seit 1910 herrscht in den künstlerisch führenden Ländern der Expressionismus. In Österreich ist es auch der junge Kokoschka, der sich zu der neues künstlerischen Bewegung bekennt. Ein Buch "Die träumenden Knaben", gedichtet und farbig illustriert von Kokoschka war Gustav Klimt gewidmet, dem Mann auf dessen Werk Egon Schiele wie auch Kokoschka aufbauten.

Oskar Kokoschka, der heute 69jährige ist eine faszinierende Persönlichkeit, er steht mitten im heutigen modernen europäischen Kunstleben. Niederösterreicher seiner Herkunft nach, er ist in Pöchlarn geboren, bildet auch er sich wahlverwandt an der donauländischen Tradition, an der Barockkunst. Visionär gestaltete, hintergründige Kompositionen, portraithafte Landschaften, Städte und Hafenbilder, eine unendliche Reihe von Bildnissen sind ein forschendes, erregendes Begegnen, ja eine ungestüme Besitzergreifung der Welt, einer Welt, die in dramatischer Umschichtung begriffen, leidend, der Verzweiflung ausgeliefert ist. Kokoschka's Bilder "Der irrende Ritter", die "Auswanderer", die "Windsbraut" gelten als Meisterwerke der expressionistischen Malerei. Der Betrachter wird hineingezogen in das Bildgeschehen, durch die Dynamik der Auffassung, der ebenso eine glühende Dynamik der Farbe, sowie der Handschrift entspricht. Ein fast schmerzhaftes Bloßlegen der psychischen Substanz eines Menschen ist großteils bezeichnend für seine Menschendarstellungen. Auch hier führt er den Beschauer ganz nahe an den Dargestellten heran, in einen gleichsam zwingenden Blickwinkel, der wie eine körperliche Berührung wirkt. Seine berühmten Städtebilder sind ebensolche suggestiven Portraits einer architektonischen Landschaft, in eine faszinierende Farbglut getaucht, die einen freudigen barocken Lebens- schwung verraten. Zu seinen heitersten, liebenswürdigsten, unbeschwertesten Schöpfungen gehören die in den Jahren 1939-45 entstandenen Blumenaquarelle. Sie sind großteils in Schottland gemalt. In temparamentvoller flüchtiger Art schafft er mit dem Pinsel ohne Vorzeichnung diese zarten Improvisationen. Raum, Bewegung und das vegetative Wachsen und Blühen der Pflanzen leben in den frischen Farben dieser Aquarelle. Durch seine Verwandschaft mit der barocken Kunst, die ihren schönsten Ausdruck in unserem Land gefunden hat, tritt die Vielgestaltigkeit der österreichischen Mentalität auch in diesem Künstler zu Tage.

Die Welt war in Unruhe geraten, Europa hatte zwei Kriege erlebt. Der Zusammenhang mit der großen Tradition im Klassizismus des 19.Jahrhunderts, der noch einmal versucht hatte das "humanistische Menschenbild" in seiner Ganzheit zu bewahren, war verloren gegangen oder vergessen oder geschwächt, von neuen Gedanken abgelöst oder auch bekämpft. Es gab keine allgemein verbindliche Weltanschauung mehr. Die verschiedensten Anschauungen und Kunstrichtungen entstehen, werden mit ehrlicher Begeisterung als unserem heutigen Lebenswillen entsprechend, gepriesen und propagiert. Sie lösen einander ab, laufen parallel weiter und haben ihre Wirkung gleichzeitig. Es ist ein ernstes Suchen und Vergleichen mit analogen Ausdrucksformen des bildnerischen Schaffens aller Kunstformen, aller Jahrhunderte und aller Kulturen. Die große Schnelligkeit mit der die einzelnen Kunstrichtungen und Anschauungen, innerhalb weniger Jahre oft, durchaus logisch und sinnvoll aufeinander folgen, ist nicht nur von der Hast und Unruhe des modernen Menschen, der sich dem Rythmus einer technischen Zeit überantwortet hat, bedingt. Sie zeigt auch die großen tragischen Verwirrungen, sie zeigt die Störungen denen der heutige Mensch auf allen Gebieten ausgesetzt ist. Sie zeigt den tragischen Kampf um ein neues geistiges Weltbild, um eine neue geistige Ordnung. Experimente auch, die allerdings nicht auf reiner Willkür, böser Absicht und Unehrlichkeit beruhen dürfen, haben ihren Sinn bewiesen, denn sie können echten Bedürfnissen entsprechen und können befruchtend wirken und dies besonders in einer gefährdeten Zeit. In einer Zeit, die anderseits auch wiederum versucht die Überlieferung durch Erneuerung zu bewahren.

Der Impressionismus war eine Revolution in gutem und schlechten Sinn, er hat köstliche Werke hervorgebracht in allen europäischen Ländern. In seiner Spätform wird er immer mehr reine Optik, er führt zur Auflösung der Form, der Gegenstand wurde fast gleichgültig. Der Kubismus dann, er ist durchaus konstruktiven Geistes, will mit seinen kugeligen, kegeligen, zylindrischen Formen, den Menschen, die Landschaft in seinen Urformen wieder aufbauen, er will kubische Organisation des Bildraumes, der Dingwelt.

Der Expressionismus hatte unter beabsichtigter Hintansetzung der Formsprache, der Perspektive und der gewohnten Ausdrucksmittel, den geistigen Inhalt, den Ausdruck des Bildwerkes in den Vordergrund gestellt. Der Mensch ist aber nun nicht mehr in seinem früheren Sinn "Persönlichkeit". Die Darstellungen zeigen ihn in extremen Zuständen. Die Daseins-Angst, durch zwei Kriege in die Welt gekommen und immer mehr gesteigert, findet auch in der Kunst ihren Ausdruck. Fragwürdig wird das Verhältnis zwischen Mensch und Natur und der Welt. In packenden, ergreifenden Bildern greift auch die expressionistische Kunst diese Themen auf. Ins Unbewußte, ins Traumhafte wo es kein oben und unten gibt, leuchtet der Surrealismus. Der Futurismus beschäftigt sich nicht mehr mit der Darstellung des Menschen, er setzt den Menschen den Dingen gleich, die aber auch nicht mehr in gewohntem Licht und in gewohnten Beziehungen erscheinen.

Die gegenstandslose Kunst zeigt die Bildfläche als ein Spannungsfeld von Linien und Farbsegmenten.

Trotz aller Verschiedenheit in den Anschauungen bricht die schöpferische Kraft nach allen Seiten durch. Was sich an den Verstand wendet, muß verstandesmäßig erfaßt und mitgedacht werden. Es gibt große Leistungen auf allen Gebieten und Anschauungen. In ihnen allen kommt das Suchen und Drängen des modernen Menschengeistes zum Ausdruck. Das Suchen nach einer neuen Orientierung.

Wo die Kunst in tiefere Bezirke greift, wo eine menschliche große Anschauung mit schöpferischer Sehnsucht, dem Kosmos auf neue Art ein altes Geheimnis abringen will, da findet sie immer Resonnanz im menschlichen Herzen.

Am Ringen um die Probleme der Gegenwart, an der Gestaltung der Weltanschauung sind alle Kräfte des Menschen beteiligt, Geist, Gemüt, Herz und Verstand. Landschaft und Klima und Art - die Heimat läßt diese Kräfte im Künstler wachsen und reifen, für sein Menschentum, für sein Werk.

Die Österreichische Kunst ist nicht denkbar ohne Österreichs Landschaft. Für den Wiener Maler war und ist Niederösterreichs Landschaft die Heimat, der Boden der ihn werden und wachsen läßt, ihn beglückt, begeistert, oft aber auch erschüttert und betrübt. Immer aber der Nährboden seines Wesens bleibt. Abschließend möchte ich noch zum Kulturkampf unserer Tage sagen, dass zur Tragik aller Künstler und auch der Kunstfreunde in unserem Jahrhundert Klüfte aufgerissen sind, die unüberbrückbar erscheinen. Ich möchte mir aber erlauben dazu zu sagen, dass alles Geschehen, wenn es wirklich echt ist, sei es auf dieser oder auf jener Seite, berechtigt ist.

Was nun dauernden Wert haben wird, darüber werden die späteren Generationen entscheiden. Ich als Künstler empfinde, dass der Totalitätsanspruch jedoch auf dieser oder auf der anderen Seite erhoben, die einzige Gefahr für jede künstlerische Äußerung ist. Ein künstlerisches Bekenntnis muß nicht die Vernichtung für ein anderes, ebenso ehrlich gemachtes Bekenntnis, bedeuten.

Toleranz, es braucht nicht kritiklose Toleranz zu sein, müßte die Einstellung jedes Künstlers und Kunstliebhabers werden. Denn unter ihr könnte das Vertrauen des Menschen zur Kunst wieder wachsen und dem Künstler seine scheinbar abhanden gekommene Berechtigung wiedergeben.

 
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